Stiftung Wahrheit in den Medien

SYMPOSIUM der Stiftung Wahrheit in den Medien Universität Luzern, 28. November 2009

Meinungsvielfalt – Meinungsmainstream?


Vortrag von Dr. Paul Ehinger

Ausgehend von einem im schweizerischen Mediensystem festzustellenden Konzentrationsprozess lautet die Grundfrage unseres Symposiums, ob dieser Prozess nicht nur zu einem Verlust der Meinungsvielfalt führt, sondern dass die überlebenden Medien je länger desto mehr in den Sog eines Meinungsmainstreams abzudriften drohen. Diese Entwicklung gefährdet die Meinungsbildung in der Demokratie, die auf vielfältige und freie Medien angewiesen ist.

1. Einige Beispiele des Meinungsmainstreams
In der Tat lässt sich ein Meinungsmainstream in den letzten zwei, drei Dezennien unschwer feststellen. Zum ersten Mal ist mir dies so richtig aufgefallen bei der eidg. Volksabstimmung über den UNO-Beitritt am 26. März 1986. Sie erinnern sich vielleicht: Ausser der Schweizerzeit vertraten alle Medien einen befürwortenden Standpunkt. Das Ergebnis war wohl eine der grössten „Niederlagen“ der Journalisten-Zunft (zu den Journalisten gehören auch immer die Journalstinnen), denn der Souverän schmetterte den Beitritt mit einem Nein-Anteil von 75,7% ab.

Ein anderes Beispiel des Meinungsmainstreams, das ich persönlich hautnah miterlebt habe: der schweizerisch-jüdische Konflikt wegen der sog. nachrichtenlosen Vermögen. Ich darf hier die Behauptung aufstellen, dass das Zofinger Tagblatt unter meiner Führung wohl die einzige Tageszeitung war, welche von Anfang an auf bestehende Erkenntnisse und Forschungsergebnisse hinwies und die aufgebauschte Angelegenheit relativierte. Tiefpunkt war dann für mich die Forderung einer linksextremen Gruppe in Zofingen, die mit einem Flugblatt die Absetzung des Chefredaktors verlangte! Geschichten aus der Provinz, die nicht eine helvetische Dimension erreichten, vermutlich weil man einen so sturen Nationalkonservativen nicht noch Publizität geben wollte. Ich war dann dankbar, dass in der NZZ Max Frenkel in dieser Sache federführend wurde und sich ganz in meinem Sinne engagierte.

Oder noch ein Beispiel: die Vorlage über den Beitritt der Schweiz zum Internationalen Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung von 1965. Es war soviel ich mich erinnere nur gerade die Weltwoche mit dem unerschrockenen Hanspeter Born und selbstverständlich die Schweizerzeit, die vor der Abstimmung am 25. September 1994 den Mut aufbrachten, die Vorlage zu bekämpfen. Es ging um die gefährdete Meinungsfreiheit. Aber die Journalisten, die sonst nicht müde werden zu hinterfragen, spurten auf den Kurs der Political Correctness ein (vgl. Paul Ehinger, Herrschaft durch Sprache, Zofingen 1996, S. 27 ff.). Was überhaupt Rasse sei, war kein Thema. Relativ knapp fiel die Annahme durch den Souverän mit einem 54,6% Ja-Stimmenanteil aus.

2. Was verstehen wir unter Meinungsmainstream?
In allen diesen Fällen bestand in den Redaktionen der Print- und der elektronischen Medien eine Übereinstimmung, die man als Mainstream bezeichnen kann. Mainstream ist ein neudeutsches Wort, und kann aus dem Englischen, wörtlich mit Hauptstrom übersetzt werden. Gemäss Wikipedia spiegelt er den kulturellen Geschmack einer grossen Mehrheit wider, im Gegensatz zu Subkulturen oder dem ästhetischen Underground. Der Mainstream ist eine Folge einer Kulturdominanz. Oder mit einem deutschen Begriff definiert: Mainstream ist der Zeitgeist, ein allerdings umfassenderer Begriff, der mir eigentlich besser gefällt. Oder noch ein anderer Begriff, der immer wieder auf die schweizerische Verhältnisse appliziert wird: Einheitsbrei.

3. Früher gab es keinen Meinungsmainstream
Als Historiker frage ich zwangsläufig: Hat es Mainstream nicht schon früher gegeben? Ja, es hat ihn gegeben. Im 19. Jahrhundert war die Schweiz politisch vom Liberalismus in seinen verschiedenen Facetten dominiert. Wer konservativ dachte und handelte, hatte Sanktionen zu gewärtigen. Gesellschaftlich war das Bürgertum mit seinen Werten und Normen beherrschend. Wer sich dagegen aufbäumte, hatte ebenfalls Sanktionen zu erwarten. Und in Bezug auf die Medien? Da muss wohl schon differenziert werden. Es gab freisinnige Blätter, es gab aber auch konservative, dann demokratische, dann sozialdemokratische, dann sozialistische, kommunistische, ja es gab im 20. Jahrhundert sogar nationalsozialistische Publikationen. Ganz früher gab es nicht selten Zeitungen, in denen Verleger und Redaktor in einer Person vereint waren. Meistens waren die Verleger selber in einer Partei, manchmal, wie übrigens auch ihre Redaktoren, hielten sie politische Ämter inne.

Aus dieser parteipolitischen Differenzierung ergab sich logischerweise eine Vielfalt der Meinungen, was ja oft genug zu Pressefehden führte. Dieses Zeitalter dauerte etwa bis in die 60er und 70er Jahre des letzten Jahrhunderts. Prof. Roger Blum hat in einem Artikel im zwischenzeitlich verschwundenen Magazin Facts Nr.30/2004 berechnet, dass noch vor 40 Jahren bei den Zeitungen die Parteiblätter dominierten. 41 % waren FDP-nahe 35 % CVP-nahe, 8 % SP-nahe, der Rest verteilte sich auf andere Parteien oder es waren einige „neutrale“ Blätter.

Ganz abgesehen davon, garantierte schon die Menge der Zeitungstitel eine Meinungsvielfalt. 1939 gab es 406 Titel. Da konnte man fürwahr von einem Bannwald der Demokratie sprechen. Aber schon 1974 waren es nur noch 292. Das Total der Auflage stieg im selben Zeitraum freilich von 2'049'480 auf 3'192'070 Exemplare (Josef Jäger, Presseförderung oder Pressegesetz, NZZ Nr. 275 vom 26.11.1975).

Diese Erkenntnisse führen uns zur ersten Hypothese: Die Versäulung des politischen und des gesellschaftlichen Systems übertrug sich im 19. Jahrhundert bis etwa 1968 auch auf das Mediensystem, welches somit eine Medien- und Meinungsvielfalt garantierte. Von einem Meinungsmainstream kann deshalb in keiner Weise gesprochen werden.

4. Die politische Positionierung der Medien in der Gegenwart
Und in der Gegenwart? Sicher ist: Das Mediensystem hat sich gewandelt. Parteiblätter gibt es so gut wie keine mehr. Die meisten Zeitungen haben sich von den politischen Parteien gelöst und erscheinen mit dem Attribut „unabhängig“ oder als Forums-Zeitungen. Damit, so der Befund von Jan Vontobel in seiner 2005 erschienenen Lizentiatsarbeit, „Die politische Position von Schweizer Qualitätszeitungen“, sei eine einfache Zuordnung der politischen Positionen der Medien schwierig geworden. Auch hier hat Roger Blum im Facts (Nr. 30/2004) die Lage analysiert und ist zum Ergebnis gekommen: Die grosse Mehrheit der Medien positioniert sich linksliberal oder in der Mitte. Vorweg: Kein einziges elektronisches Medium steht rechts der Mitte.

Bei den Printmedien hat Blum die folgenden Berechnungen angestellt: 1'260’000 Zeitungen in Bezug auf die Auflagezahl befinden sich im linksliberalen Bereich. 1'172’000 sind Mitte-Zeitungen. Auf der rechtsliberalen Seite beträgt die Auflagenzahl 690'000. 72’000 stehen für Blum ganz rechts und 23'000 ganz links. Hier seine Einstufung gemäss einiger Zeitungs-Titel:
- Links: WoZ und Le Courrier.
- Linksliberal: Blick, Sonntagsblick, Tages-Anzeiger, Bund oder 24 heures.
- Mitte: Sonntags Zeitung, Mittellandzeitung, Berner Zeitung, Südostschweiz oder Basler Zeitung.
- Rechtsliberal: NZZ, NZZ am Sonntag, Neue Luzerner Zeitung, Tribune oder Weltwoche.
- Rechts. Schweizerzeit und Il Mattino

Jan Vontobel ist in seiner Arbeit auf den Artikel von Roger Blum im Kapitel 3.2. eingegangen. Darin befasst er sich mit der politischen Grundhaltung von Schweizer Medien Er räumt ein, dass die Forschung zu diesem Thema in der Schweiz noch nicht so weit fortgeschritten sei wie in Deutschland. Obwohl „von Seiten bürgerlicher Politiker regelmässig ein Linksdrall der Medien kritisiert wird“, überrasche es, „dass in der Schweiz die Forschung in diese Richtung noch nicht weiter vorangekommen ist.“

Problematisch an diesem vorgestellten Links-Rechts-Schema sei, dass im Blum-Artikel die Methode, die für die Einteilung der Medien benutzt wurde, nicht beschrieben werde. Es fehle, worauf Blum allerdings auch hinweist, eine breit angelegte Inhaltsanalyse oder Befragung. Es würden lediglich subjektive Eindrücke wiedergegeben. Zurecht weist der Autor hin, dass „sich die politischen Linien mit der Zeit langsam oder aber durch einen Personen- und Imagewechsel des Mediums auch plötzlich verändern können.“ Solche Richtungswechsel haben wir ja in der letzten Zeit erlebt. So gibt es das Magazin Facts nicht mehr. Und die beiden Boulevardzeitungen aus dem Hause Ringier müsste man heute wohl eher in die Mitte verschieben. Ob sich die NLZ als rechtsliberal einstuft, könnte vielleicht in der Diskussion verifiziert werden. In den Kantonen Bern und Aargau werden dagegen die BZ und die MZ eher als linksliberal empfunden, wobei dann das redaktionell zur MZ gehörende Zofinger Tagblatt sich schon unter meiner Zeit als Chefredaktor eine gewisse Unabhängigkeit sicherte und sich rechts positionierte, was weitgehend auch noch heute gilt. Und die Weltwoche? Für viele steht sie heute wohl ganz rechts; zur Zeit der Analyse von Blum gab es ein Interregnum, da Roger Köppel damals die „Welt“ in Deutschland führte.

Wie dem auch sei: Die Analyse von Blum zeigt ein Faktum ganz klar: Die Mehrheit der schweizerischen Medien, zumal wenn man die elektronischen dazu zählt, steht links. Von dieser Analyse her ist es evident, dass ein Meinungsmainstream vorherrscht. Dies hat schon 2003 der Leiter des Liberalen Instituts, Robert Nef, an der Jahresversammlung des Verbands Schweizer Presse erkannt. Er registrierte „einen Verlust an Meinungsvielfalt und eine Verflachung der Meinungsprofile im hiesigen Blätterwald.“ Vor allem in den Inlandteilen, so Nef, stehe „überall mehr oder weniger dasselbe“ drin. (NZZ vom 26.9.03)

5. Die politische Positionierung der Journalisten
Wenn die Mehrheit der schweizerischen Medien links positioniert ist, dann bedeutet dies logischerweise, dass die Kommunikatoren, welche diese Zeitungen produzieren auch links stehen. Stimmt diese Behauptung? Der brillante Medienexperte der NZZ Heribert Seifert hielt für Deutschland fest: „Journalisten stehen links, und deshalb spiegeln die Medien das Zeitgeschehen nur politisch verzerrt wider. Mit dieser Behauptung führen Konservative in den USA seit Jahren erfolgreiche Kampagnen gegen die ‚main stream media’“ (NZZ vom 30.6.2006). Er geht dann auf die deutsche Untersuchung von Siegfried Weischenberg „Die Souffleure der Mediengesellschaft“, Konstanz 2006, ein, in welcher einige Kommunikationswissenschaftler die deutschen Journalisten durchleuchtet und dabei herausgefunden haben, dass 2005 immerhin 36% die Grünen bevorzugten, 26% die SPD und 1% die PDS/Linkspartei. Unter Journalistinnen haben die Grünen sogar 43% Anhänger. Die sogenannten «bürgerlichen» Parteien erfreuen sich in der schreibenden und sendenden Zunft höchst mickrigen Zuspruchs: 9% bekennen sich als CDU/CSU-Anhänger, 6% stehen der FDP nahe. Gegenüber einer vorherigen Untersuchung aus dem Jahr 1993 hat die Linke hier satt zugelegt (+15%), während die Bürgerlichen 6% verloren.

Ganz ähnlich sieht es in der Schweiz aus. Auch hierzu gibt es eine immer wieder zitierte Untersuchung von Bettina Nyffeler, „Schweizerische Aussenpolitik & Journalismus: Eine Befragung politischer Journalist/innen tagesaktueller Schweizer Medien“, erschienen 1999, hg. im Rahmen NFP Aussenpolitik. Sie hat diese Befragung selber durchgeführt und kommt zum Schluss, dass nur eine Minderheit der Journalisten parteipolitisch gebunden sei, nämlich 13%. In Bezug auf die Frage der Parteinähe sagten die Journalisten, am häufigsten stünden sie - ungeachtet ihrer sprach-regionalen Herkunft – der SP nahe. Am zweit- und drittmeisten fühlen sie sich der FDP bzw. der CVP verbunden. Im Vergleich zu den Wahlberechtigten positionieren sich Journalisten drei Mal häufiger bei der SP und etwa doppelt so oft bei der FDP. Und dann irgendwie typisch und die qualitativen Annahmen bestätigend: Keine Erwähnung findet bei den Journalisten die SVP, obwohl sie die stärkste Partei im Lande ist.

Im politischen Link-Rechts-Schema (1 = links; 10 = rechts) verorten sich die Jornalisten gemäss der Studie von Bettina Nyffeler bei 4,5, also links der Mitte. Diese Mitte-Links-Positionierung bestätige sich in differenzierter Weise bei der Analyse nach Medientyp. Die Journalisten/innen der SRG-Radios sowie der Agenturen stufen sich deutlicher links der Mitte ein. Bei ihnen liegt der Mittelwert bei 3,7 bzw. 3,8. Bei 4,2 ist er bei den öffentlich-rechtlichen Fernsehjournalisten. Die Medienschaffenden der Privat-Radios und jene der Printmedien positionieren sich weiter rechts; das heisst aber immer noch links der Mitte (Mittelwert von 4,4 bzw. 4,8).

Da haben wir also eine Verifikation der Hypothese, wonach die Mehrheit der Journalisten-Zunft sich links und links der Mitte befindet. Von diesem Befund ist die Hypothese nicht weit entfernt und kann deshalb legitimerweise abgeleitet werden: Es gibt im schweizerischen Mediensystem einen Meinungsmainstream, und der fliesst links, neuerdings auch Mittelinks. Oder, um mit Robert Nef zu sprechen: „Alle drängen nach der Mitte, und eine grosse Mehrheit der Medienschaffenden hat sich einem gemässigten Mitte-Links-Kurs verschrieben.“

6. Die Linksgravitation des schweizerischen Mediensystems
Nun wollen wir der Frage nachgehen: Warum konnte es soweit kommen? Da ist einmal sicher der Zeitgeist zu nennen, der mit der Wegmarke 1968 begann. Dann aber auch mit dem Niedergang der sozialdemokratischen Presse und dem gleichzeitigen Aufkommen der elektronischen Medien, speziell des Fernsehens. Viele Berufsleute, die früher in einem SP-Blatt arbeiteten, fanden beim Niedergang der SP-Presse eine neue Beschäftigung beim Fernsehen, so dass dieses zwangsläufig mehr und mehr links dominiert wurde. Das führte dann in den 70er und 80er Jahren zu den zahlreichen Kritiken von bürgerlicher Seite, vor allem des Hofer-Clubs. Je mehr linke Redaktoren und Journalisten beim Fernsehen höhere Positionen erklommen, desto mehr zogen sie auch Kollegen und Kolleginnen nach, welche die gleiche Parteifarbe vertraten. Im Fernsehen war für mich der krasseste Fall der von Ulrich Pfister. Der reputierte Inland-Redaktor der NZZ wurde zum Fernsehen berufen. Sein unglückliches Wirken war aber nicht von langer Dauer.

Mehr und mehr gelangten linksstehende Redaktoren und Journalisten auch in die Redaktionen der Printmedien. Obwohl diese meistens von bürgerlichen Verwaltungsräten, Verlegern und Direktoren geführt wurden, konnten sie die Linksgravitation nicht aufhalten. Ein Grund war sicherlich der, dass sich linke Seilschaften bildeten, welche bürgerliche Redaktoren oder Journalisten entweder offen ablehnten oder dann mindestens durch Sanktionen blossstellten und letztlich hinausekelten. Hier kommt mir etwa mein Freund Ronald Roggen in den Sinn, auch er vorerst ebenfalls Inland-Redaktor der NZZ, der zum Chefredaktor der Berner Zeitung berufen wurde. Auch sein Wirken war von kurzer Dauer, nämlich nur elf Monate (1.2.1986-31.1.1987). Wie André Pfenninger schreibt, „war Roggen von erster Stunde an in der Redaktion mit ernsthaften Problemen konfrontiert gewesen. Ein Teil des Teams hatte ihn schlichtweg nicht akzeptiert“, obwohl er eine integre und zielbewusste Persönlichkeit war. (Die ersten 20 Jahre Berner Zeitung, Bern 1999, S. 83)

Die mehrheitlich linke Haltung der Redaktionen führte zum Meinungsmainstream. Sie sind einem Gruppenzwang unterworfen. Ein Redaktor, der nicht links spurt und sich nicht den Normen der Political Correctness beugt, hat kaum Chancen in einer solchen Redaktion akzeptiert zu werden. Er wird in eine Rolle gezwängt, ob er diese will oder nicht. Akzeptiert er sie nicht oder wehrt er sich dagegen, wurde oder wird er mit Häme bedacht, ja diffamiert und schliesslich exkludiert.

- Ein persönlicher Exkurs
Persönlich habe ich diese Situation bei der Berner Zeitung erlebt, wo ich 1980 von mir zwei bekannten Verwaltungsräten vorgeschlagen und berufen wurde. Als dann Urs Gasche neuer Chefredaktor und sein Intimus Jürg Wildberger sein Stellvertreter wurde, waren auch meine Stunden am Dammweg gezählt. Mit mir erlitten dasselbe Schicksal: Martin Bühler, Nelly Haldi, Urs Huber, Heinz W. Müller, Bruno Schläppi, Jörg Zoller u.a. (Berner Bär, 23.1.1983: „Personeller Kahlschlag bei der Berner Zeitung“), Auf Vorschlag von Peter Amstutz wurde ich dann an die Basler Zeitung gewählt. Dort versuchte man damals offenbar wieder zu einem einigermassen bürgerlicheren Kurs zu wechseln, als der Verwaltungsrat den in Pension gehenden Chefredaktor Gerd Padel durch Hans-Peter Platz ersetzte. Darauf kündigten u.a. Jürg Lehmann und Urs Peter Engeler, und zogen - wohin wohl - zur BZ. Dieser hat allerdings einen Wandel zum Besseren durchgemacht, jener wurde später der Träger des extremen Linkskurses beim Blick.

Man liess es mich in Basel merken, dass ich unerwünscht war. So wurde ich von meinem Büronachbarn Isler (seinen Vornamen weiss ich nicht mehr) konsequent nicht gegrüsst. Die vereinigten „Volksfront-Zeitungen“ schrien Zeter und Mordio. Der Tages Anzeiger durch Ueli Haldimann (24.3.1983, S. 6), die WoZ durch Jürg Frischknecht (Nr. 12, 15.3.1983), das linke Medienmagazin Klartext (Nr. 2/1983), der Vorwärts, ja sogar die Bresche (25.4.1983) diskreditierten nicht nur den neuen Kurs der BaZ, sondern auch – in völliger Verkennung der machtpolitischen Situation – meine Wenigkeit als „Speerspitze“ eines bürgerlichen Kurses. Der angeblich „liberale“ Franz Hophan hatte angekündet, dass er gehen werde, wenn Ehinger angestellt würde. Er wechselte dann – wohin wohl – zur BZ. Sie können sich vorstellen, dass auch mir dieses vergiftete Klima nicht behagte, so dass ich nach einem halben Jahr Basel verliess.

Dies eine kleine Illustration der Lage und der Linksgravitation in den 80er Jahren. Wer sich ihr widersetzte, galt als schwarzes Schaf. Man wurde ausgegrenzt. Analoge Tendenzen bestehen auch in der Gegenwart, wenn auch nicht mehr in dieser Schärfe. Und sicherlich wird ein solcher Redaktor nie für einen Journalistenpreis in Frage kommen. Ausser er habe, wie etwa Roger Köppel, eine Reputation erlangt, an der man nicht vorbeikommt. Umgekehrt bildeten sich linke Seilschaften, so etwa im Falle Gasche-Wildberger-Lehmann. Oder noch krasser: die Zürcher Seilschaften, die Rainer Stadler einmal als die „Journalistischen Wanderarbeiter im Zürcher Viereck“ charakterisiert hat. (NZZ, 27.2.2004) Zwischen den Häusern Tamedia, Ringier, Jean Frey und SF DRS drehe sich ein Personenkarusell. Bei den betroffenen Titel, „wo es auch dem Zeitgeist gefällt“, geht es um „10 vor 10“, „Weltwoche“ (damals noch), „Facts“, „Magazin“, „Blick“, „Sonntagsblick“, „Sonntags-Zeitung“, „Rundschau“ oder „Tages-Anzeiger“. Also alles Titel, die in der obigen Liste Roger Blum Mitte-Links eingestuft hat. Die Personen: Ueli Haldimann, Jürg Wildberger, Klaus Vieli, Hannes Britschgi u.a. Sarkastisch meint Stadler: „Es würde zu weit führen, die zwischen den genannten Medientiteln zirkulierenden Wanderarbeiter aus dem journalistischen Fussvolk ebenfalls aufzuzählen. Die Liste wäre jedenfalls ziemlich lang.“

7. Ursachen des Meinungsmainstreams
Nun aber die Frage: Wie konnte es soweit kommen, dass selbst bürgerliche Medienhäuser von linken bis linksextremistischen Redaktoren und Journalisten beherrscht werden konnten? Eine Ursache habe ich genannt: die linken Seilschaften. Typisches Beispiel: die BZ. Eine weitere Ursache, war der 68er Zeitgeist und damit einhergehend die Tendenz zur Political Correctness.

7.1. Das politische Versagen der Verlage
Wir haben somit das Faktum, dass die überwiegende Mehrheit der Medienschaffende links positioniert ist. Die Mehrheit der Schweizer wählt aber bürgerlich. Somit, so würde man annehmen, produzieren die Zeitungen in der Schweiz am Markt vorbei. Wie ist das wirtschaftlich möglich? Das ist vor allem möglich, weil die Redaktionen bzw. die Journalisten sich auf die Meinungsfreiheit berufen. Da ist es für sie möglich, eine linke Meinung in einem an und für sich bürgerlichen Medium zu vertreten. Zum einen verfielen auch die Verleger dem neuen Links-Trend. Typisch etwa die Anstellung von Urs Gasche als Chefredaktor der BZ auf den 1. Mai 1982. Er galt, so André Pfenninger (ebd., S. 80 f.) „in vielen Kreisen als ein offener Verfechter einer grün-roten Politik. An Bedenken fehlte es daher im Verwaltungsrat nicht. Charles von Graffenried überzeugte das Gremium, dass der der BZ endlich eine homogene Top-Equipe vorstehen müsse.“ Rückblickend meinte der Bern-Burger: „Das war ein mutiger, sehr fortschrittlicher Entscheid“. Kaum ein Verleger hat den Mut, sein allenfalls liberal-marktwirtschaftliches Wertsystem durchzusetzen. Versucht er es dennoch, spielt der Mechanismus der Solidarität der Medienzunft, der sich die Verleger über kurz oder lang beugen.

7.2. Die Homogenisierung des schweizerischen Journalistenberufs
Eine weitere Hypothese lautet: Das schweizerische Mediensystem zeichnet sich nicht mehr durch eine Meinungsvielfalt aus, sondern durch eine Homogenisierung, die einem Meinungsmainstream förderlich ist. Diese Homogenisierung ist nicht zuletzt auch wegen der Professionalisierung entstanden. Früher galt der Grundsatz, dass Journalismus eigentlich nicht lernbar sei. Es bedurfte dazu einer gewissen Intelligenz, einer Fähigkeit zum schriftlichen Formulieren, möglichst vieler Kenntnisse und Wissen sowie vor allem einer politischen Einstellung. Die Studenten sind seit 1968 in eine Linksgravitation hineingeraten, aus der sich kaum jemand befreien kann. Dazu kommt eine eher linkslastige Indoktrination in der Berufsausbildung, etwa am MAZ in Luzern. Eine Analyse der dortigen Dozenten würde wohl zu eindeutigen Schlüssen gelangen.
Übrigens habe ich gemeint mit dieser Homogenisierungs-Hypothese könnte ich eine neue, ja aufsehenerregende Erkenntnis vermitteln. Dem ist aber nicht so, hat doch der NZZ-Medienredaktor Rainer Stadler schon vor sechs Jahren auf die Kehrseite der oft geforderten Investitionen in die Journalistenausbildung hingewiesen: „Diese fördert nämlich eine Homogenisierung der journalistischen Milieus mit der entsprechenden Abgrenzung gegenüber der Welt draussen. Ob aufgeklärte Ratlosigkeit, zunehmende Beliebigkeit in einer saturierten Gesellschaft oder eben Profillosigkeit - es sind letztlich Beschreibungen derselben Entwicklung, welche nicht nur die Medienwelt erfasste.“ (NZZ 26.9.03)

7.3. Zentralisierung des Mediensystems
Ein weiterer Faktor, der zum Meinungsmainstream geführt hat, ist die Zentralisierung des Mediensystems. Noch vor einem halben Jahrhundert konnte man in der Schweiz von „der Presse in der föderalistischen Referendumsdemokratie sprechen. Sie widerspiegelte die politische Strukturierung und Organisation unseres Landes“ (Jäger, ebd.) Nicht zuletzt durch die staatliche Legiferierung des Radios und Fernsehens (RTVG) ergab sich ein zentralistisches Mediensystem. Das Schweizer Radio und vor allem das Fernsehen sind geradezu gezwungen, die nationale Komponente stärker zu gewichten, und sich damit zu stark auf die nationale Politik zu fokussieren. In diesem Prozess verloren die kleinen und mittleren Zeitungen ihre Bedeutung, wobei, nebenbei gesagt, die These schon immer falsch gewesen ist, sie hätten infolge mangelnder Ressourcen ohnehin kaum einen Beitrag zur Meinungsvielfalt geleistet.

7.4. Der Verlust der staatspolitischen Verantwortung
Noch vor einigen Jahrzehnten war die Wahrnehmung der staatsbürgerlichen Verantwortung die klare Pflicht jedes Journalisten oder Redaktoren. Hier stossen wir auf einen Widerspruch, der sich vor allem in den letzten Jahren verschärft hat und den man etwa unter die Pole stellen könnte: Freiheit der Information versus kommerzielle Interessen. In einem Aufsatz im Jahrbuch 1969 der Neuen Helvetischen Gesellschaft bedauerte der bekannte Publizist Oskar Reck unter dem Titel „Zur Gegenwartsproblematik der Schweizer Presse“ den Niedergang des staatsbürgerlichen Verantwortungsbewusstseins infolge des „aus purem Profitstreben praktizierten Opportunismus.“

Reck kritisierte jene Verleger-Organisationen, welche die Information ohne jede Einschränkung als Verkaufsproblem qualifizieren. „Dabei gilt für unsere kleine direkte Demokratie mit besonderer Bedeutung, dass politische Blätter keine simple Ware, sondern für die Infrastruktur eines freien Landes unerlässlich sind – und mithin Wandlungen der Presse das rein Ökonomische weit hinter sich lassen.“ (S. 103) Ein Niedergang der Meinungsvielfalt, so Reck, setze „die politische Qualität der Verleger (voraus), wirtschaftliche Entscheidungen, da die demokratische Zeitung keine Ware ist, niemals abgelöst von staatsbürgerlicher Erwägung zu treffen.“ (S. 104) Positiver sieht es Rainer Stadler: Die Medienunternehmen hätten sich in Dienstleistungsbetriebe umfunktioniert, welche mehr den Konsumenten als den Bürger ansprechen wollen. (NZZ 26.9.03)

Genau an diesem Punkt hakt indes jenes journalistische Selbstverständnis ein, so wie es eigentlich jeder Redaktor/Journalist aus einer ethischen Verpflichtung in seiner Tätigkeit heraus verstehen sollte. Die Medien sollten die Gesellschaft nicht nur informieren, sondern auch orientieren, und zwar aus einer Haltung der staatsbürgerlichen Verantwortung heraus. Presse- und Meinungsfreiheit soll für den Journalismus nie das ungehemmte Ausleben individueller Bedürfnisse oder Ideologien bedeuten, sondern soll letztlich stets als ein Dienst für die Res publica aufgefasst werden. Aber ich weiss: Mit einer solchen Meinung bin ich hoffnungslos veraltet. Aber wenigstens in guter Gesellschaft, nämlich mit Bundesrat Moritz Leuenberger, der in einem Interview mit der AZ sagte: “Eine Zeitung, die nur von Werbeeinnahmen lebt, hat keine Seele.” (Interview von Philipp Mäder und Beat Rechsteiner, in: AZ 8.5.09)

8. Neuere Trends
8.1. Die Entpolitisierung

Beim Verfassen dieses Vortrags, der für mich auch so etwas wie die Rechenschaftsablegung nach mehr als 30 Jahren Journalismus ist, ist mir aufgefallen, dass in den letzten Jahren auch etliche neue Tendenzen aufgetaucht sind. Teilweise habe ich sie oben schon angedeutet. In den letzten Jahren stellen wir aber vor allem eine neue Entwicklung fest, die ich mit dem Stichwort Entpolitisierung charakterisieren möchte. Die 68er Generation hat sich schon längstens etabliert, ihren missionarischen Eifer verloren und ihren Marsch durch die Institutionen beendet. Sie ist deshalb milder geworden, einerseits weil sie oft hohe Statuspositionen erklommen hat, andererseits weil der Bankrott des realen Sozialismus sie ihrer ideologischen Basis weitgehend beraubt hat. Die Entpolitisierung führt zu einer politischen Beliebigkeit, zu einer Hinwendung zur permissiven Gesellschaft. Also galt es diesem Wandel in den Medien Rechnung zu tragen, nicht zuletzt ein Grund, dass die Gratispendlerzeitungen solchen Erfolg haben konnten. Schon früher hatte es ein Bedürfnis gegeben, mittels des Printmediums Unterhaltung zu bringen, meistens unter der Rubrik „Vermischtes“. Doch in den letzten Jahrzehnten hat die Tendenz zugenommen, „sex and crimes“ usw. nicht nur überzubwertern, sondern sogar vorrangig zu behandeln, etwa in jüngster Zeit der Fall des Millionärssohn Carl Hirschmann, von Rainer Stadler unter dem bezeichnenden Titel „Triumph der Tussi-News“ kommentiert. (NZZ, 10.11.2009)

8.2. Das Infotainment
Nun folgt eine Journalistengeneration nach, für die Politik nicht mehr die erste Priorität hat. Stichwort: „Spassgesellschaft“ oder der Sieg des Prinzips der gesellschaftlichen Permissivität. Nun sind nicht mehr die Politik wichtig, sondern „People“, der Lifestyle, die Eventkultur oder der Sport. Um diesen gesellschaftlichen Neigungen entgegenzukommen, bildete sich das Infotainment heraus, also die Mischung aus Unterhaltung und Information. Das Kompositum aus dem Information und Entertainment wurde vom Medienkritiker Neil Postman geprägt, der das Fernsehen kritisch hinterfragte. In seinem Buch "Wir amüsieren uns zu Tode" (1985) wird von Postman die Behauptung aufgestellt, dass das Fernsehen den rationalen öffentlichen Diskurs in der Form verwandelt, dass jedes Thema – Politik, Kultur, Erziehung, Bildung, etc. – als Unterhaltung erscheint.

http://de.wiktionary.org/wiki/Infotainment - cite_note-WP_Infotainment-0#cite_note-WP_Infotainment-0

Es ist evident, dass die Entpolitisierung dem Infotainment entgegenkommt. Zusammen mit der Personalisierung entsteht der typische Boulevardmix. Die Meinungsbildung leisten dann häufig nicht mehr die Journalisten, sondern aussenstehende Akteure, also sog. Experten, hinter deren Meinung der Journalist sich verbergen kann. Damit können Sanktionen gegen die eigene Zeitung vermieden werden und es kann der Anspruch erhoben werden, eine Forumszeitung zu sein. Denn nicht der Journalist steht zu einer Meinung, sofern er dazu überhaupt noch in der Lage ist, sondern eine externe Person. Damit wird indessen zweifellos ein Verlust der Meinungsvielfalt in Kauf genommen. Voraussetzung für diesen Prozess war der Wandel von der Parteizeitung zur sog. Forumszeitung - eine logische Folge des sozioökonomischen Wandels. Er führte aber zum Verlust der Meinungsvielfalt, was ja logisch ist: Je weniger Medien, desto weniger Meinungen.
Man kann es allerdings auch anders sehen: Die Ablösung der Parteiblätter durch Forumszeitungen führte nämlich auch zu einer Bereicherung der Angebote der einzelnen Titel; denn wer beim Publikum Erfolg haben will, muss das ganze Spektrum des politischen Wettbewerbs abbilden. Dies wiederum erklärt die Erfolglosigkeit der verbliebenen Milieuzeitungen, etwa der linksextremen Zürcher „Wochenzeitung“ (Rainer Stadler).

8.3. Der Verlust an Hintergrundwissen speziell der schweizerischen Geschichte
Im Infotainment und auch in der Recherche schwindet das Prinzip einer strikten Trennung zwischen der möglichst objektiven Information und der subjektiven Kommentierung. Das hängt auch mit der Tatsache zusammen, dass viele Journalisten oder Redaktoren gar nicht mehr kommentieren können. Bei der Kommentierung versuchen sie sich politisch nicht festzulegen, einerseits um keine Abonnenten zu vergraulen, andererseits weil ihnen meistens das Hintergrundwissen fehlt. Ihr Wissenshorizont geht nicht selten etwa auf ein Dezennium zurück, so dass ihnen die Kenntnisse politischer Zusammenhänge und Hintergründe fehlen. Das zeigte sich deutlich beim schweizerisch-jüdischen Konflikt wegen der nachrichtenlosen Vermögen. Gefördert wird diese Tendenz durch die Vernachlässigung der schweizerischen Geschichte, nicht zuletzt auch an den Universitäten.
Dann flüchten sich Journalisten und Redaktoren in die vielgelobte Recherche, in der von ideologischen Axiomen oder von einem Agenda-Setting ausgehend nicht selten unbedarfte Fragen gestellt werden, in der Meinung so einen „objektiven“ Journalismus zu pflegen. Was nützt ein halbstündiges Gespräche, bei dem der Interviewte auf Fairness, also auf eine ethisch einwandfreie Behandlung seiner Aussagen hofft, wenn dann der Journalist genau jene Passagen übernimmt, die ihm in sein Konzept oder in sein Weltbild passen. Das nennt sich dann auch anwaltschaftlicher Journalismus. Um seiner Zielsetzung gerecht zu werden, schreckt zuweilen der Boulevardjournalist auch nicht vor Desinformation zurück. Wie oft haben wir es doch erlebt, dass Arbeiten, die als Recherche daherstolzieren, sich im Endeffekt als Lügen entpuppen? Es soll sogar Anleitungen geben, wie gefragt werden muss, damit letztlich das herauskommt, was der Journalist anstrebt. Betrüblich ist es dann, wenn ausgerechnet solche Arbeiten noch mit einem Journalistenpreis ausgezeichnet werden.

Man kann gegen den Veranstaltungsjournalismus wettern wie man will - er ist ethisch einwandfreier. Den eigenen Senf kann der Journalist ja jederzeit in der Form eines Kommentars beisteuern, um damit, gemäss den Worten Jürg Toblers in seinem Buch "Die Wortmischer" (Bern 1982) "eine Sache in einem weiteren Bezugsfeld und in ihrer Gesetzlichkeit zu sehen, mir durch zusätzliche Mitteilung den Blick schärfen, damit ich mir das Urteil selber machen kann." Ich finde aus diesen Gründen die Methode des herkömmlichen Journalismus ehrlicher: Strikte Trennung von Wertung und Berichterstattung. Aus diesem Grund hat in den seriösen Medien der Kommentar oder der Leitartikel einen ganz anderen Stellenwert als in der Boulevardpresse.

Eine andere beliebte Form, um sein Wissen zu kaschieren, sind hin und wieder die Gefässe Feature oder die inflationär gewordene „Kolumnitis“. Rainer Stadler interpretiert „die derzeitige Blüte von unzähligen Kolumnen, von verspielten Betrachtungen und Ansichten über allerlei Nebensächliches“ als „kompensatorisches Phänomen“. (NZZ 26.9.03)

8.4. Die Relevanz des Sports
Eine andere Möglichkeit zur Flucht vor der Meinungsäusserung ist die Überbewertung des Sports. Hier bilden sich neue Identitäten, die problemlos herzustellen sind. Informationen zu Schützen- oder Turnanlässen wurden früher im politischen Teil behandelt, handelte es sich ja ohnehin um Veranstaltungen mit einem stark vaterländischen und somit auch politischen Akzent. Die Sportinformation (si) wurde erst 1922 gegründet; ein Jahr darauf führte etwa das Zofinger Tagblatt 1923 erstmals eine so bezeichnete „Sportchronik“ ein. Der Sport bildete eine Nebensache, und zwar nicht einmal eine wichtige. Das hat sich in den letzten Dezennien in sein Gegenteil umgekehrt. Dabei spielt sicher auch ein vermeintlich verschütterter Nationalismus bzw. Lokalpatriotismus eine gewisse Rolle.

8.5. Die Relevanz des Bildes
Während Zeitungen früher, nicht zuletzt aus technischen Gründen, fast ganz ohne Bilder auskamen, ergab sich durch das Aufkommen des Fernsehens eine Konkurrenz. Es ist nun einmal so, dass der Mensch gerne Bilder sieht. Diesem Bedürfnis kommen die modernen Medien entgegen. Vor allem die Boulevard-Medien pflegen das Bild – oft auf Kosten des Wortes. Das Prinzip entstand: Keine Seite ohne Foto. Kein Printmedium will sich dem Vorwurf der Bleiwüste aussetzen. Es sei zugegeben, dass manchmal ein gutes Bild mehr sagt als ein Text. Aber ohne Bildlegende geht es ja dann doch nicht. Und oft werden Fotografien als sog. Themenbilder platziert, die meistens überhaupt keinen informativen Charakter aufweisen; sie sind überflüssig. Vor allem kann mit dem Bild manipuliert werden, was sicherlich nicht als positiv zu werten ist, wenn es die Meinung ersetzt. So fördert das Bild geradezu den modernen Analphabetismus.

8.6. Der Wandel zum gouvernementalen Journalismus
Wie schon angetönt ist die einstmals nonkonformistische 68er-Journalistengeneration nicht nur in die Jahre gekommen, sondern sie hat den Marsch durch die Institutionen zuweilen in hohen Statuspositionen abgeschlossen. Das Jahr 1989 hat das Ende des realen Sozialismus gebracht; da war es nicht mehr opportun den sozialistisch-marxistischen Ideologien nachzuhängen. Nicht einmal die Finanzkrise hat eine Rückkehr zum Klassenkampf gebracht. Doch die Adepten haben gespurt. Sie sind zwar entpolitisiert, stehen aber weiterhin auf einem linken, allenfalls vielleicht noch stärker gewordenen linksliberalen Fundament. Doch von Nonkonformismus keine Spur mehr! Da sich auch das politische und das kulturelle System diesem ideologischen Wandel angepasst haben, kommt es konsequenterweise zu einer Annäherung an die Machtträger dieser Systeme. Daraus ergibt sich dann eben die „gouvernementale Anbiederung“ (Robert Nef), am extremsten im Treibhausklima des Bundeshauses, was ich schon während meiner dortigen Redaktorenjahre 1985-1988 erlebt habe.

Das Thema wurde schon am Kongress des Verbandes Schweizer Presse 2003 aufgeworfen. Dr. Robert Nef, Leiter des liberalen Instituts und Herausgeber der „Schweizer Monatshefte“ kritisierte den in den letzten Jahren in der Schweiz entstandenen „subtilen, höchst komplexen Anbiederungsprozess“ zwischen den Medien und dem Staat. Er sprach von einem „medial-gouvernementalen Komplex“. Die vielgerühmte Schweizer Medienvielfalt leide nicht primär an einem Zeitungs- und Zeitschriftensterben, sondern an einem Verlust der Meinungsvielfalt und an einer Verflachung der Meinungsprofile. Die Konkordanzregierungen aller Stufen hätten wenig publizistischen Gegenwind, da „eine etatistische Grundhaltung die Journalisten kennzeichne“. (NZZ 20.9.2003)

Selbst Kurt Imhof, linker Professor für Publizistikwissenschaft und Soziologie an der Universität Zürich, beobachtet eine Konzentration der Berichterstattung auf die Machtträger in der Exekutive und der Verwaltung; dies zulasten der Parlamente. Die Personalisierung und die mediale Fokussierung auf die politische Mechanik verdrängten die deliberative Auseinandersetzung. Zugleich werde durch die erhöhte mediale Aufmerksamkeit die Macht der Exekutive gestärkt. (NZZ 26.9.03)

Ähnlich kritisch äusserte sich an der Verlegertagung vor sechs Jahren auch der Chefredaktor von „Le temps“, Eric Hoesli. Er verwies auf die oben zitierte repräsentative Umfrage, die – für Rainer Stadler „wenig erstaunlich“ - zum Ergebnis kam, dass die Medienschaffenden linker denken als ihr Publikum. Auch Hoesli sprach von einer Tendenz zum Konformismus, zum Mainstream-Journalismus, der sich lieber Themen zuwende, die als politisch korrekt und damit als weitgehend risikofrei gelten. Hoesli plädierte für prononcierte politische Stellungnahmen und die Förderung von Quereinsteigern, welche die journalistische Binnenperspektive bereichern sollen.
Stecken wir in der Gegenwart, in einer Phase, in welcher die Journalisten sich zwar immer noch links positionieren, aber unparteiisch sein können? Heribert Seifert stellt die folgende Frage für den deutschen Journalismus: „Warum soll man nicht annehmen, dass die deutschen Kollegen so hochprofessionell justiert sind, dass es ihnen keine Schwierigkeit macht, zwischen privater politischer Ansicht und dem in öffentlichem Auftrag wahrgenommenen Geschäft des unparteiischen Berichtens, des Kritisierens und des Skandalisierens zu unterscheiden?“ Ich neige zur Hypothese, diese Aussage auch auf den schweizerischen Journalismus zu übertragen. Sarkastisch merkt indessen Seifert an: „Zu schön, um wahr zu sein? Manchmal muss man sich halt an Illusionen halten, um nicht zum Zyniker zu werden.“

9. Neue journalistische Meidien mit Meinungen
Aber es kommt noch ein anderer Trend hinzu, auf den zum Schluss noch eingegangen werden soll. Meine Hypothese: Der Meinungsjournalismus könnte durch neue journalistische Medien verdrängt werden. Es kommen neue Gefässe auf, etwa die Blogger im Internet oder auch die Online-Community Facebook, wo ja auch schon politische Aktionen organisiert wurden, etwa im Zusammenhang mit der Volksabstimmung über die biometrischen Pässe. Unser Medienminister meint sogar, dass „das Internet die Meinungsvielfalt nochmals erweitert hat. Es gibt unendliche Möglichkeiten, alternative Informationen zu verbreiten.“ Im Internet herrsche ja eher Anarchie als Monopol. (AZ, 8.5.2009) Und schliesslich bemerkt er: „Als Medienminister beschäftigt mich die freie Meinungsbildung. Und die ist nicht so schnell gefährdet. Es gibt immer auch noch elektronische Medien, Facebook, Blogs und so weiter.“ Hier wäre Twitter anzufügen. Ich gebe zu, dass ich erst seit einigen Monaten Facebook-Freund bin, aber weder blogge noch „zwitschere“. (Bei den nachfolgenden Abschnitten stütze ich mich vornehmlich auf Wikipedia.)

9.1. Bloggen
Seit etwa 1990 gibt es den Blog, oder auch Weblog genannt, eine Wortkreuzung aus dem Englischen World Wide Web und Log für Logbuch. Hier handelt es sich um ein auf einer Website geführtes und damit – meist öffentlich – einsehbares Tagebuch oder Journal. Häufig ist ein Blog „endlos“, d. h. eine lange, abwärts chronologisch sortierte Liste von Einträgen, die in bestimmten Abständen umgebrochen wird.

Der Herausgeber oder Blogger steht als wesentlicher Autor über dem Inhalt, und häufig sind die Beiträge in der Ich-Perspektive geschrieben. Das Blog bildet ein für Autor und Leser einfach zu handhabendes Medium zur Darstellung von Aspekten des eigenen Lebens und von Meinungen zu spezifischen Themen. Meist sind aber auch Kommentare oder Diskussionen der Leser zu einem Artikel zulässig. Damit kann das Medium sowohl dem Austausch von Informationen, Gedanken und Erfahrungen als auch der Kommunikation dienen. Insofern ähnelt es einem Internetforum, je nach Inhalt aber auch einer Internet-Zeitung. Die Tätigkeit des Schreibens in einem Blog wird als Bloggen bezeichnet.

9.2. Twittern
Erst seit 2006 gibt es das soziale Netzwerk mit dem Begriff Twitter, auf das der Wahlsieg Präsident Barack Obamas teilweise zurückzuführen ist. Das zeigt bereits die Bedeutung dieses neuen Mediums an. Es handelt sich ebenfalls um ein meist öffentlich einsehbares Tagebuch im Internet (Mikroblog), welches weltweit per Website, Mobiltelefon, Desktopanwendung, Widget oder Webbrowser-Plug-in geführt und aktualisiert werden kann. Angemeldete Benutzer können eigene Textnachrichten mit maximal 140 Zeichen eingeben und anderen Benutzern senden.

Der Herausgeber der Nachricht steht auf der Webseite des Dienstes mit einer Abbildung als alleiniger Autor über seinem Inhalt. Die Beiträge sind häufig wie beim Bloggen in der Ich-Perspektive geschrieben. Wikipedia hält fest: „Das Mikro-Blog bildet ein für Autor und Leser einfach zu handhabendes Echtzeit-Medium zur Darstellung von Aspekten des eigenen Lebens und von Meinungen zu spezifischen Themen. Kommentare oder Diskussionen der Leser zu einem Beitrag sind möglich. Damit kann das Medium sowohl dem Austausch von Informationen, Gedanken und Erfahrungen als auch der Kommunikation dienen.“

Die Tätigkeit des Schreibens auf Twitter wird umgangssprachlich als „twittern“ bezeichnet. Die Beiträge auf Twitter werden als „Tweets“ (engl.: to tweet = zwitschern) oder „Updates“ bezeichnet. Das referenzierte Wiederholen eines Beitrages einer anderen Person, um beispielsweise eine Eilmeldung im Netzwerk schnell weiterzuverbreiten, wird als „ReTweet“ bezeichnet. Das soziale Netzwerk beruht darauf, dass man die Nachrichten anderer Benutzer abonnieren kann. Die Leser eines Autors, die dessen Beiträge abonniert haben, werden als „Follower“ (engl.: to follow = folgen) bezeichnet. Die Beiträge der Personen, denen man folgt, werden in einem Log, einer abwärts chronologisch sortierten Liste von Einträgen dargestellt. Der Absender kann entscheiden, ob er seine Nachrichten allen zur Verfügung stellen oder den Zugang auf eine Freundesgruppe beschränken will. Über eine Programmierschnittstelle (API) stellen Komplementoren die über Twitter veröffentlichten Nachrichten zur Verfügung, so dass die Updates auf verschiedenen Kanälen von vielen Diensten abgerufen und von dort auch wieder eingespeist werden können.
Auch wenn ich diese Netzwerke noch relativ neu sind und ich sie nur am Rande kenne, darf man sie nicht von vornherein ablehnen. Sowohl das Bloggen als auch das Twittern beinhalten stark wertende, also kommentierende Elemente. Das bedeutet, dass sie sehr wohl zur Meinungsvielfalt beitragen könnten und den Meinungsmainstream aufbrechen könnten. Es sind ja vor allem die jüngeren Generationen, welche bloggen und twittern. Hier liegt jedenfalls auch eine Chance, um aus dem Mainstream auszubrechen. Vielleicht ergeben sich auch für die Verlage neue Perspektiven; fast alle kennen ja bereits die multimediale Differenzierung.
10. Vier Hypothesen
Hypothese 1: Bis in die 60er Jahre des letzten Jahrhunderts hatte die Schweiz ein pluralistisch-föderalistisches Mediensystem, das mehr oder weniger ein Abbild des politischen Systems war. In dieser Phase war die Meinungsvielfalt infolge der Versäulung der Printmedien gewährleistet.

Hypothese 2: Um 1968 erfolgte einerseits ein Konzentrationsprozess der Printmedien bei einem gleichzeitigen Aufkommen und Machtzuwachs der elektronischen Medien, andererseits eine Infiltration der Medien durch linkspositionierte Medienschaffende, welche eine kritisch-nonkonformistische Politik gegenüber dem politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen System der Schweiz auf der Grundlage sozialistischer Ideologien vertraten. In dieser Phase setzte eine Homogenisierung der Meinungen ein; die Medien- und Meinungsvielfalt wurde stark beeinträchtigt.

Hypothese 3: Seit etwa Mitte der 90er Jahre erleben wir die neue Phase einer Entpolitisierung der Medien. Zwar sind die Journalisten, wie Roger Blum in einem Interview von Radio DRS über 25 Jahre Unabhängige Beschwerdeinstanz (UBI) am 20. November 2009 sinngemäss festhielt, handwerklich noch nie so gut ausgebildet. Aber sie haben kaum mehr eigene Meinungen, und dies sei nicht gut für die Demokratie, die Meinungsvielfalt gehe verloren. Da die ideologischen Ziele weitgehend erreicht wurden und sie das politische System internalisiert hat, gibt es eine Tendenz zum gouvernementalen Journalismus.
Hypothese 4: In den letzten Jahren erleben wir das Aufkommen neuer meinungsbildender Medien, gefördert durch das Internet. Wie weit die Netzwerke Facebook, die Blogger und Twitter wirklich zu einer Medienvielfalt beitragen und damit sogar den Meinungsmaistream durchbrechen könnten, kann wohl noch niemand abschliessend beurteilen.

11. Schlussfolgerungen
Die Schlussfolgerungen für die Demokratie sind - ich sage einmal vorläufig - nicht gerade erbauend. Der Staat kommt als Garant für eine Meinungsvielfalt sicher nicht in Frage; denn Staatsmedien wären wohl das letzte, was wir wollen. Auch hier ein Zitat von Bundesrat Moritz Leuenberger: „Wenn der freie Markt die Meinungsvielfalt erbringt, hat der Staat keinen Anlass einzugreifen. Bei den Printmedien ist diese Meinungsvielfalt vorhanden. Anders bei den elektronischen Medien: Dort wollen wir eine starke SRG als Konkurrentin zu den ausländischen Sendern.“ Auch eine Sicht der Dinge, die wir hier nicht weiter kommentieren wollen.
Aber auch eigene Instanzen der Medien-Organisationen könnten den Meinungsmainstream nicht abbauen, weil sie selber in diesem negativen Trend involviert sind. Roger Blum schlägt die Einsetzung einer Stiftung für Medien in Analogie zu Kulturstiftungen vor. Aber auch eine solche Stiftung würde kaum die Meinungsvielfalt garantieren. Sie würde ja ausgerechnet von jenen Kommunikatoren gebildet, die aus dem homogenisierten, linksliberal-linken und gouvernementalen Kuchen stammen. Es ist kaum denkbar, dass ein rechtsliberaler oder gar konservativer Akteur da Platz gewährt würde!
Allenfalls könnten die Verleger wieder vermehrt darauf achten. Aber bei ihnen steht der Kommerz und für viele ohnehin das Überleben auf dem Spiel. Ganz abgesehen davon: Welches Interesse haben die Verleger an einer Meinungsvielfalt, wenn das Geschäft auch ohne sie gut bis sehr gut läuft. Ihr grosses Vorbild sind die Gratispendlerzeitungen à la „20 Minuten“ oder „Blick am Abend“.
So bleibt m.E. nur noch die Hoffnung, dass sich der Zeitgeist wieder einmal ändern könnte. Anzeichen dafür bestehen. Oder ein anderer Schluss, um nochmals Seifert zu zitieren: „Journalismus ist nun mal kein Selbstverwirklichungstrip, sondern bezahlte und vom Auftraggeber kontrollierte Auftragsarbeit.“ Oder noch ein anderer Schluss: Werden die Internet-Medien ein neues Zeitalter einer blühenden Meinungsvielfalt einläuten?